Wer mit dem Namen Bechstein in Altenburg operiert und danach fragt,
wird die Gegenfragen bekommen:
„Sind die Gebrüder Bechstein gemeint, die die Spielkarten
herstellten?" - oder - „Bechstein, dabei handelt es sich doch wohl um die
Maschinenfabrik und Eisengießerei?“
Schwerpunkt ist nicht nur die Spielkartenherstellung, sondern auch die anderen wesentlichen Seiten im Leben und Schaffen der Bechsteins.
Beginnen wir mit Christian
Wilhelm Heinrich Bechstein, 29. November 1772 -16. Januar 1848. 1828 ist er als
Sekretär in der Botenmeisterei der Konsistorial-Kanzlei tätig, wird 1831 Bürger
der Stadt und ist 1838 (auch 1843) als Herzoglich Sachsen-Altenburgischer
Kanzleirat - auch Konsistorialrat - aufgeführt. Er besaß in der späteren
Friedrichstraße 160 (alte Brandkatasternummer - später Nr. 10 entsprechend) ein
Haus, das 1780 mit 875 Talern (Wohnhaus 475, Seitengebäude 400) taxiert worden
war. Er hatte 3 Söhne;
Kanzleirat Bechstein gehörte zu den neun Stiftern der Naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg. Ihm wurde bescheinigt, dass er dem Direktorium der Gesellschaft von 1833 bis 1837 und von 1839 bis 1842 angehörte und diese durch seine Vorträge zu physikalischen Themen bereicherte, für die „Mitteilungen aus dem Osterlande“ fertigte er von 1837-1847 die meteorologischen Tabellen an.
Seine drei Söhne
Otto, Wilhelm Louis und Bernhard:
Deren Vorstellungen um die Konzession zur Herstellung von Spielkarten
beeinflusste der Vater dergestalt, dass er auf Grund seiner Amtserfahrungen
empfahl, dass nicht Wilhelm Louis den Antrag über den Stadtrat an die
Herzogliche Landesregierung einreichte, sondern dies von Otto und Bernhard
erfolgte. Alle drei Brüder gehörten aber schon über zehn Jahre vorher der Brommeschen
Tarockgesellschaft an, dürften also zu „Miterfindern“ des Skat zu rechnen sein,
und waren aktiv im Armbrustschützenklub innerhalb der Gesellschaft „Concordia“.
Der älteste
Sohn
Otto Bechstein,
Lithograph von Beruf, lebte - in Altenburg geboren und gestorben - vom 22.
Februar 1800 bis zum 30. Mai 1859 und besaß vor Gründung der Spielkartenfabrik
eine kleine „Lithographische Kunstanstalt“ (wahrscheinlich ab 1822). 1824
erhielt er die bronzene Verdienstmedaille, dito 1848. Dokumentiert ist u.a. 1839
die Herstellung von 1000 lithographischen Einladungen für den
Landwirtschaftlichen Verein. Der Betrieb existierte im elterlichen Haus
Friedrichstraße 7 / Ecke Gartenstraße 10 (1949 Nr. 16). Am 9. Januar 1852
schied Otto B. aus der Spielkartenfabrik aus. Er war nur noch nomineller
Inhaber gewesen. Nach Otto Bechstein’s Tode - Kinder sind nicht genannt -
führte Johanna Bechstein die Steindruckerei „hinter der Unterkirche“ 160 fort.
Der
mittlere Sohn Wilhelm Louis (24. Juli 1803
in Altenburg geboren und am 27. März 1888 in Altenburg verstorben) war
Chemiker. Seine Ausbildung als Apotheker hatte er in der Stadt- und
Löwenapotheke (damals Moritzstr. 19) absolviert, danach war er als Provisor (1.
Gehilfe) in dieser Apotheke tätig. Am 14. Juli 1831 erhielt er das Bürgerrecht
(vgl. Bürgerbuch 1800-1830) und gründete 1831 eine „Chemische Fabrik W. I.. Bechstein“. Der Gedanke der Gründung der
Spielkartenfabrik ging von ihm aus. Wie schon erwähnt, sollten aber die Brüder
die Konzession erbitten, weil er schon einen Betrieb gegründet hatte und durch
liberalistische Anpassungen der Herzoglichen Regierung nicht gerade
empfehlenswert scheinen konnte. Wahrscheinlich der Kapitalkräftigste, sollte er
nach der Konzessionserteilung aber die technische Leitung übernehmen. 1856 schied
er aus der Spielkartenfabrik aus. Während der Revolution 1848 war er Mitglied
der Bürgergarde. Aktiv war er zuerst als Leutnant, Unter- und
Oberschützenmeister, dann Hauptmann der Scharfschützen, Leiter des gesamten
Schießwesens des Korps und schließlich als Major kommandierender Chef des
gesamten Korps bis 1867/68 wirksam geworden. Wilhelm Louis Bechstein gehörte
dem Stadtverordnetenkollegium und dem Direktorium der 1854 gegründeten
Altenburger Gasanstalt an. Zwischen 1848 und 1868 fertigte er die Meteorologischen
Tabellen, die sein Vater begonnen hatte, mit den täglich erfassten Angaben von
Barometer, Thermometer und Wetterzustand an. Seine Wohnung und Chemische Fabrik
waren auf dem Brühl 176, entspr. Pauritzer Gasse 1, zu finden.
Als vor 1864 der Plan entwickelt wurde, an Stelle der 2. Landesbank,
die sich am Brühl befand, außerhalb der Stadtmauer das .3. Landesbank- und
Bibliotheksgebäude auf dem Josephplatz zu errichten, wurde ihm - offensichtlich
weil auch sein Fabrikgebäude berührt war - „ein Garten auf dem Anger
angeboten“. Wilhelm Louis Bechstein war zweimal verheiratet. Die zweite Frau
Clara geb. Rudolf lebte vom 11. Juli 1839 bis zum 20. Juli 1917. Seine Kinder
hießen Selma und Hugo. Die Chemische Fabrik (auch Anilinfabrik) wurde sicher ab
1881 zusammen mit seinem Sohn Hugo (2. Mai 1843 - 4. oder 5. Juni 1914)
geführt. 1888 erbt Hugo das Unternehmen, ab 1900 firmiert Arno Henni als
Besitzer.
Hugo Bechstein wird 1869 als Kassenführer im Kunstverein erwähnt, und
1898 ist er Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes zu
Altenburg. Verheiratet war er mit Rosalie Ruthenbeck (1. Dez. 18 l2 - 12. Juli
1885): Hugo wohnte zumindest 1896 bis 1902 in der Lingkestraße. 2. Die Tochter
Selma war seit 1855 mit dem Architekten und Baumeister Carl Voretzsch
verheiratet (Leiter der Löscharbeiten beim Schlossbrand 1868). Der Sohn ist der
Historiker Prof. Dr. Max Voretzsch.
Der jüngste
Sohn
Bernhard Bechstein (18.
Mai 1810 in Altenburg geboren und am 12. 2. 1897 ebenda verstorben) war um 1830
als Lithographengehilfe im Geschäft des ältesten Bruders Otto tätig und erwarb
1831 das Bürgerrecht. Mit ihm zusammen wurde 1832 der Antrag auf Konzession zur
„Errichtung und Betreibung einer Fabrik deutscher und französischer Spielkarten
in hiesiger Stadt“ gestellt und am 16. 11. 1832 die Konzession auf Grund der
Empfehlung des Stadtrates von Friedrich Herzog zu Sachsen-Altenburg unter
folgenden Bedingungen erteilt: 1. gute und tüchtige Fabrikate liefern, zu
billigen Preisen verkaufen; 2. dem Kartenstempelgesetz getreulich nachkommen;
3. jährlicher Canon in Höhe von einem Groschen zu Gunsten der Kammerkasse; 4.
Schutz gegen Beeinträchtigungen.
Schon am gleichen Tag wird der handwerkliche bzw. Manufakturbetrieb im
Hause „hinter der Unterkirche“ 10 (Brandkatasternummer 160) eröffnet. Die
Karten wurden von Holzschnitten gedruckt, bunte Farben unter Verwendung von
Schablonen mit der Hand koloriert. Ab 1859 führte Bernhard das Unternehmen
allein bis 1874 weiter. Er war im Direktorium des Gewerbevereins im Vorstand
bzw. 2. Direktor des Gewerbevereins mit der Gewerbevereinsschule, als
Vizedirektor 1881, 1884 tätig und wurde 1887 mit der Goldenen Verdienstmedaille
ausgezeichnet. In den Adressbüchern Altenburgs finden wir ihn nach 1874 in der
Fabrikstraße 14. 1890 Nr. 30. Verheiratet war Bernhard B. mit Auguste Goldmann,
die ihn überlebte (1904). Beide hatten in Gebäuden der Fabrikstraße gewohnt,
die ihren Söhnen Balduin und Guido gehörten.
Guido Bechstein. (1 12. 1849 - 3. 12. 1893) war 1865 Lehrling im
Bandgeschäft Möller & Co,
Moritzstraße. Zweimal verheiratet, entstammte der ersten Ehe der Sohn
Max. 1884 ist Guido B. als Buchhalter Inhaber der Silbernen Verdienstmedaille
und 1871 2. Vorsteher des Kriegervereins. 1872-1893 1. Vorstehler. Er fungiert
als Vorsitzender der 1887 gegründeten „Sanitätskolonne der vereinigten Krieger-
und Militärvereine“, desgl. als 1. Vorsteher des Landesverbandes der
Militärvereine (Unterstützungskasse, Sterbekasse, Feuerwehrkorps,
Sanitätskolonne - erste im Lande SA). Wohnhaft war
Guido 1881 in der Fabrikstraße 14 und 1890 Fabrikstraße 8/11.
Balduin Bechstein wurde am 24. September 1838 geboren. 1857 heißt es in
den „Mitteilungen aus dem Osterlande“, dass der Mechanikergehilfe Balduin
Bechstein eine Auszeichnung für ein „sauberes und genau arbeitendes Modell“
einer Balancier-Dampfmaschine erhielt.
1868 kauft der „Mechanikus“ Balduin Bechstein den Brandplatz der
Dampfschneidemühle Bauer und Rümpel (ehemals Fahr, am 18.1. 1868 abgebrannt).
1869: Gründung der Maschinenfabrik und Erzeugung von Dampfmaschinen,
Kundengusslieferungen, Ersatzteile als „Maschinenfabrik und Eisengießerei“, als
eine unter acht derartiger Unternehmen in Altenburg. Am 31. Oktober 1876 wird
Balduin Bechstein durch Ersatzwahl in
den Bürgervorstand der Stadt Altenburg gewählt. 1878 übergab er der „Realschule
neben der Brüderkirche“ Geschenke für deren Sammlungen.
Am 25. 9. 1889 teilt die „AZ für Stadt und Land“ mit, dass Balduin
Bechstein, Fabrikant in Altenburg, auf der „Schöffenliste für den Monat
Oktober“ am 28. Oktober steht.
Balduin Bechstein starb am 1. Juni 1894. Er vermachte in Gestalt der
Balduin-Bechstein-Stiftung 1/50 des vorhandenen Geschäftsvermögens = 4600 M.,
d.h. die jährlichen 4% Zinsen davon, an arme ältere würdige Bürger, besonders
alte Arbeiter der Bechsteinschen Fabrik, die 1899 erstmalig ausgezahlt wurden.
Das Unternehmen geht 1902 ins Eigentum von Karl und Hans Irmer über;
die Firmierung bleibt.
Wie schon bemerkt, entstand 1869 die Maschinenfabrik und Eisengießerei
Balduin Bechstein am Standort der abgebrannten Dampfschneidemühle
1873 entstand die „Neue Schmiede“ und Gießerei durch den Baumeister
Meining.. 1879 wurde das große schmiedeeiserne Tor
errichtet. Am 16. 9. 1882 kam es zu einem kleinen Schadenfeuer im Tischlersaal
der Fabrik.
1886 gab es eine neue Fabrikanlage, der Baumeister war Wagenbreth.
Das Produktionsangebot der Maschinenfabrik, Eisen- und Metallgießerei
umfasste 1881, 1885, 1887 Maschinen und Anlagen für Fabriken, Bergwerke,
Wasserwerke, Mahlmühlen, Brennereien, Brauereien, Dampfkessel, Dampfpumpen,
Pressen, Krane, Winden und Aufzüge. Die Eisengießerei firmierte in den gleichen
Jahren mit Gußstücken von über hundert Zentner, Maschinenguss in Sand, Masse
oder Lehm,
Gußteilen zu Hauzwecken (Säulen, Träger, Platten) nach Zeichnungen,
Modellager, ab 1881 Henze-Dämpfer (Kartoffeldämpfer), Mulden- und Treppenroste,
Speisewasser-Vorwärmer. Ölabscheider, Sicherheits-Andrehkurbeln für Motoren.
Alte Eisenbahnschienen nach Maß gehauen, wurden 1881 und 1885 angeboten,
Motoren seit 1889. 1890-1900 sind genannt: Förder- und Wasserhaltungsmaschinen,
Pumpen, Hebepumpen zum Abteufen von Schächten, Gas- und Petroleum-Motoren,
Feuerungs-Anlagen, Transmissionen, Säulen, Treppen, sowie Grubenabdeckungen.
Dampfmaschinen für Fabriken, Bergwerke. Wasserwerke, Mahlmühlen,
Brauereien. Brennereien, Dampfkessel. Kugelmühlen, Patent Jenisch, Elevatoren,
Aufzüge, Pressen u.a. werden seit 1895 angeboten.
Bei Handschuh-Ranniger wurde eine 60pferdige Dampfmaschine installiert.
Nach Balduin Bechsteins Tode wird der Betrieb mit Erfolg und
zahlreichen Neuerungen weitergeführt:
1904 „Transmissionen nach deutschem und amerikanischem System,
Straßenwalzen; Spezialitäten: Dampfmaschinen. Gas- und Petroleum-Motoren,
kombinierte Dampfkessel."
Wilhelm Julius Müller, Thräna, kaufte z.B. „einen 4pferdigen
Petroleum-Motor von Balduin Bechstein am 10. Oktober 1894, in dem zur gleichen
Zeit gedroschen und geschroten - rein und schön - werden kann bei einem
Verbrauch pro Stunde von 2 ½ Litern
Petroleum für 1900 Mark.“
Januar 1897 (aus einer Reverenz); „Die Reinigungsmaschinen an die
Schrotmühle gehängt und Trieur. Alles zieht der Motor (Schleifstein,
Schrotmühle, Reinigungsmaschine und Trieur, Dreschmaschine, Häckselmaschine).
Es ist eine Freude, wenn man das Ding arbeiten sieht.“
Die Firma B. Bechstein lieferte 1910/11 für die Straßenbahn und
Elektrizitätsgesellschaft Altenburg 2 Dampfmaschinen zu je 125 PS, die über
Riemen je zwei Dynamomaschinen von je 36 kW antrieb, und Kundenguß für Hermann
Köhler und Gustav Winselmann (Graugußteile für Nähmaschinen). 1913
spezialisierte sie sich auf Motoren und Kompressoren, 1925 auch auf
Holzbearbeitungsmaschinen (Holz-Abrichte-, Dichtenhobel und Fräsmaschinen).
1926 werden neu aufgeführt: Benzinmotoren, Fleischschneide- und
Wurstfüllmaschinen und das Reparieren von Kraftwagen.
Die Übersicht zeigt, dass Erzeugnisse der Firma Bechstein in Fabriken,
Tischlereien, Zimmereien, Fleischereien. Wurstfabriken, Mühlen,
landwirtschaftlichen Betrieben, Brauereien, Brennereien, Bergwerken.
Wasserwerken zu finden waren. Die Zahl der Beschäftigten in der Maschinenfabrik
beweist u.a. ihre wachsende Bedeutung für Altenburg.
Zur Auszeichnung heißt es in der ALAZ Nr.50 vom 19. 9. 1886: 1. Preis
Silberne Staatsmedaille (höchste Auszeichnung) in der Gruppe X Gebrüder
Bechstein, Spielkartenfabrik, und in der Gruppe XXII Balduin Bechstein,
Maschinenfabrik 1868. Einzeln genannt sind dabei die Dampfmaschinen, „die das
Getriebe aller übrigen hier aufgestellten Maschinen in Gang erhält, einschl.
elektrisches Licht“. Normalstärke 40 PS 200 Zentner Gewicht
Die Maschine verfügte über von Herrn Bechstein selbst erfundener
Ventilsteuerung und bediente sämtliche Transmissionen in der Industriehalle,
von Bechstein stammte der Kessel, der die Maschine mit Dampf versorgt, die
Feuerungsanlage, die Dampfpumpe.
Ausgestellt ist ein großes eisernes Kühlschiff mit Zubehör, nach Patent
Ellenberger konstruiert, eine Kartoffelwaschmaschine eigener Konstruktion. Voll
des Lobes ist man über die „Bechstein'sche Dampfmaschine mit ihrem ruhigem Gang
in beinahe geräuschloser Weise“.
Der Name Bechstein ist also eng mit Altenburgs Wissenschafts-, Kultur-
und Technikgeschichte verbunden; ob das nun die Rolle in der Naturforschenden
Gesellschaft des Osterlandes, die Spielkartenherstellung, die soziale Haltung
oder die Maschinenfabrikation betrifft. Das letzte Wort zu den Bechsteins ist
sicher noch nicht geschrieben, vielleicht aller ein Beitrag zur weiteren
Forschung.
DR. KARL-HEINZ GEHLAUF
Quelle: „Altenburger Geschichts- und Hauskalender 1998“
E. Reinhold Verlag
Altenburg